Paint it Black
In der nun folgenden Geschichte erzähl’ ich von mir selber und den Tagen meiner frühen Jugend.
Das ist nicht so gut, sagt mir meine Managerin.
»Was?« frage ich, und füge hinzu: »Sprich laut und deutlich! Bin doch schwerhörig. Passiert Rockstars öfter mal. Da hat man ja vor so vielen Marshall-Amps gestanden!«
»Du bist kein Rockstar geworden!« sagt meine Managerin. »Du erzählst immer nur davon!«
»Ich hab’ vor jeder Menge Marshall-Amps gestanden in meinem Leben!« rufe ich.
Und meine Managerin tätschelt mir die Schulter und sagt: »Njaa, das hast du! Natürlich hast du es!«
Mir gefällt dieses Tätscheln nicht besonders, obwohl ich Tätscheln an sich meistens ganz angenehm finde. Meine Managerin, die rothaarig ist und gutaussehend, fügt hinzu: »Jetzt schreib bloß nicht wieder so Kindergeschichten und Jugenderinnerungen, hörst du?! Wenn du so berühmt wärst wie Mick Jagger, dann würde so’n Retro-Gedöns womöglich einen Sinn ergeben, und wir könnten s vermarkten, aber sooo…«
»Aber das ist es doch!« unterbrech’ ich sie. »Meine Geschichte sollte doch gerade das Verhältnis zwischen Myk Jung und Mick Jagger zum Thema haben!«
Sie lacht nun böse und brummt: »Der einzige Nachteil ist – es gibt gar keine verbindende Diagonale zwischen dir und Mick Jagger!«
Genüsslich nippt sie an ihrem Kaffee und meint: »Schreib mal was über’s Heutzutage, nicht wieder was über deine tiefste Vergangenheit. Und bloß nicht wieder so’nen albernen Quatsch wie ‚Bin seit Mai 79 jeden Abend besoffen’. Oder irgendwelchen Unfug über strapsige Ellies. Das versteht kein Arsch – und niemand findet es lustig!«
Da fluppt mir die Van Nelle ausm Mund und ich rufe aufgebracht: »Wenn ich strapsige Ellies erwähne – das versteht niemand?«
»Nein«, sagt sie kühl und nippt am Kaffee. »Das ist prolliger Essener Slang. Ein alberner Begriff für bestrapste, leichte Mädchen.«
»Für verruchte Mädchen«, verbessere ich sie und rufe: »Keine Sorge! Das Setting meiner Story ist diesmal nicht das Jahr 1979!« Und bedenkenlos fahr ich fort: »Ich hatte vor, von 1966 zu erzählen – von damals, als ich Mick Jagger zu den Lyrics von ‚Paint It Black’ inspirierte!«
Nun passiert etwas Seltsames. Meine gutaussehende Mangerin deppert ihre Kaffeetasse irgendwohin. »Das war’s!« ruft sie. »Such’ dir ’n neues Management! Du hast sie nicht mehr alle, armes Söckchen! Goodbye, Durchgeknallter!«
Und jetzt fegt sie tatsächlich aus der Wohnung. Die Tür bollert bumsend zu – und ich steh’ da! Und kann ihr nicht erzählen, wie das war, damals, zu Ostern 1966. Als ich Mick Jaggers Karriere entscheidend beeinflusste. Ja, damals: Als wir im Kindergarten zu Essen-Kray-Leithe, in der Kindergartengruppe von Frau Regenbrecht, dazu aufgefordert wurden, ausgepustete Eier zu bemalen – und ich ein oder zwei Eier einfach Schwarz anmalte, mit Wachsmalstiften, übrigens. Schwarz war eben meine Lieblingsfarbe, zusammen mit Dunkelgrün; aber Schwarz fand ich noch ein bisschen besser: und so malte ich die Eier eben schwarz an.
Und ich hatte keine Ahnung, was ich mit meiner intuitiven Farbwahl auslösen würde! Zunächst einmal wurde meine Mutter kurz herauf in den Kindergarten bestellt, und es wurden ihr einige bemalte Ostereier vorgelegt und sie wurde gefragt: »Welches, glauben Sie, stammt von Ihrem Sohn?« Und meine Mutter überlegte kurz und sagte: »Das schwarze!«
Und eine der Kindergärtnerinnen sagte: »Ja, und… macht Ihnen das keine Sorgen?«
Und meine Mutter sagte: »Nö. Wieso?«
Und daraufhin hätte meine Mutter mit Sicherheit unter einem schlimmen Generalverdacht gestanden, wenn nicht in jenem Augenblick etwas Außergewöhnliches geschehen wäre.
Es spazierte nämlich Mick Jagger in den Kindergarten zu Essen-Kray-Leithe hinein und sprach: »Hi. I’m Mick Jagger.«
Und die Kindergärtnerinnen sagten: »Yes, we know«, und waren ganz verblüfft und aufgeregt. Denn es war 1966, und selbst Kindergärtnerinnen kannten damals das Gummilippengesicht von Mick Jagger. Und Mick Jagger sagte: »I am on Germany Tour. And my manager, who is a woman, by the way, thought, I should look at some German thing which has an influence on British culture and British language. So I said to my manager, who, by the way, is a good-looking woman: ‘What about Blitzkrieg? This thing had an enormous influence on British language and culture!’”
»Ah! Blitzkrieg!” sagten meine Kindergärtnerinnen, aber sie wussten nicht genau, was Mick Jagger meinte, denn in der BRD war dieser Begriff nicht mehr so populär wie im Deutschen Reich oder in England.
»Yes, Blitzkrieg«, sagte Mick Jagger und fuhr fort: »Yet my manager, a beautiful red haired woman, by the by, said to me: ‘You cannot find any BLITZKRIEG nowadays in Germany! We live in 1966!’ And so I said to her: ‘What about KINDERGARDEN’, then? This thing had an enormous influence on British language and culture!’ And she said to me then: ‘Fine, let’s visit a Kindergarden! Perhaps the one in Essen-Kray-Leithe?!’ And I said: ‘The kindergarden of Kray-Leithe? How wonderful!’ So now I am here…”
»So now you are here!” sprach meine Kindergärtnerin Frau Regenbrecht. »How wonderful!«
Und Mick Jagger fragte nun meine Kindergärtnerin Frau Regenbrecht: »Have you any attractions here? In your kindergarden in Kray-Leithe?«
Und Frau Regenbrecht wies auf die bemalten Ostereier. »We have for example these wonderfully painted easter-eggs!«
»Wow!” sagte Mick Jagger. »Wonderfully painted easter-eggs! What an attraction!” Und schon schien es, als wollte er lachen und sich umwenden.
Doch dann erstarrte er!
»What is this?« fragte er. Und wies auf mein Ei, wohlgemerkt!
»It is an egg!« entgegnete Frau Regenbrecht. Und da sie sich einigermaßen mit dem Partizip Perfekt Passiv auskannte, fügte sie hinzu: »Painted black.«
»It is painted back!« murmelte Mick Jagger.
»Yes. Painted black«, sagte Frau Regenbrecht. »Isn’t it a shame?”
»It is the blackest paintest egg I have ever seen!” antwortete Mick Jagger.
»Yes”, sagte Frau Regenbrecht. »Painted black by our kindergarden-child named Myk Jung!”
Und Mick Jagger antwortete: »I will never forget this name! Myk Jung. But I will never pay him any credits!” Und er fügte hastig hinzu: »I must go now! I have a lyric idea!”
Und, wie alle Zeitzeugen bezeugen, verließ er flugs den Kindergarten zu Essen-Kray-Leithe durch dessen rot bemalte Türen, um nie mehr dorthin zurückzukehren in seinem Leben.
Doch noch bevor seine Limousine losfuhr, begann er einen Text zu schreiben, wie alle Zeitzeugen von draußen durch die Scheibe sehen konnten: und nur einen Monat später wurde eine neue Stones-Single veröffentlicht (»Paint It Black«) – und sie führte die marode gewordene Karriere der Stones zu neuen, gleißenden Horizonten.
Oftmals wurde Mick Jagger in den darauffolgenden Jahrzehnten nach dem Inspirationsquell für seinen genialen Text befragt. Doch alles, was er sagte, war: »There was a funny little guy. In Essen-Kray. He had a funny name…Ah! I cannot remember!”
Natürlich wusste er meinen Namen noch. Und doch hielt er sein Wort: Er zahlte mir niemals irgendwelche Tantiemen.
© Myk Jung