Er ist dann mal tot

Er war sehr froh, tot zu sein. »Cool«, sagte er sich, und er hätte geseufzt, hätte er noch Atem gehabt. »Vorher war ich auch schon tot. Jetzt endlich richtig!« Das war simpel formuliert – genauso wie er selbst seit jeher gestrickt war. Seine geistigen Kapazitäten hatten sich durchs Totsein offenbar nicht wesentlich erweitert. Zumindest noch nicht. Wie sie sich nun entwickeln würden, war noch nicht ganz abzusehen.
Pieter war ja erst seit ein paar Augenblicken tot.
»Ich bin tot. Das ist gut«, dachte er zufrieden, und er rieb sich im Geist die Hände, und wenn er noch ein Gesicht gehabt hätte, dann wäre darauf ein triumphales Schmunzeln zu sehen gewesen. Nur hatte er eben seit gerade kein Gesicht mehr, zumindest kein lebendiges, und er schmunzelte eher mental. Und er dachte: »Harr! Jetzt hab ich’s allen gezeigt!«
Eigentlich hatte er ja ein Gesicht – verwest war sein Ex-Körper natürlich noch nicht. Er konnte seinen toten Körper von oben in Ruhe betrachten, wie er da auf dem Bett lag. Denn Pieter schwebte ja unter der Zimmerdecke!
»Ganz genau so, wie man’s immer gelesen hat!«, dachte er. »Meine Fresse! Hätt’ ich doch schon zu Lebzeiten öfter mal geschwebt! Die Sache hat sich echt gelohnt!« Wie er nun von oben auf sein totes Gesicht hinunter schaute, da glaubte er auch in ihm jenes triumphale Schmunzeln zu erkennen, welches er auch in seinem mentalen Gesicht grinsen fühlte.
»Jause, seh’ ich tot aus!«, befand er. »Toll! Das wird sie alle verdammt schocken! Mein Gott, werden sie mich plötzlich lieben und verzweifeln! Damit müssen sie jetzt erstmal alle zurande kommen! Nun werden sie alle merken, wie sehr sie mich eigentlich gebraucht und supertoll gefunden haben, und sie werden’s schlimm finden, vergessen zu haben, es mir gesagt zu haben! Und sie werden es alle gar nicht fassen – und weinen werden sie ohne Ende und händeringend darum flehen, dass es doch bitte nicht wahr sein würde! Und schrecklich vermissen werden sie mich! Und das haben sie nun davon!«
Er schwebte ein bisschen ringsherum und rundherum, unter der Zimmerdecke.
»Man kann richtig steuern!«, summte er vor sich hin.
»Ringsherum…jetzt rundherum…und wieder ringsherum…«
Er trudelte von rechts nach links, zog eine kleine Runde übers Bett.
»Von links seh’ ich ’n bisschen besser aus als von rechts! Komisch, ist mir früher nie aufgefallen! Hätt’ ich’s gewusst – vielleicht wär’ mein Leben anders verlaufen…Vielleicht hätt’ ich mehr Mädels rumgekriegt, wenn ich mich ihnen von der richtigen Seite genähert hätte, har?«
In Wirklichkeit war’s ihm einerlei – Pieter war viel zu zufrieden darüber, gestorben zu sein.
»Wie hast du’s gemacht, Kumpel?«, raunte da eine Stimme, von ganz nah. Pieter guckte sich um. Neben ihm, direkt unter der Decke, schwebte noch einer! Der neben ihm Schwebende sah klischeehaft aus: hellgrün, halb durchsichtig.
Es war die erste Scharte im Totsein: Pieter hatte das Gefühl, dass das Coolsein im Totsein durch Nichtalleinsein gemindert wurde.

(…)

© Myk Jung

aus »Ich bin dann mal tot«
ISBN 978-3-936819-45-8